Nur wenige tragen Hygienemasken«Eine Maskenpflicht würde uns entlasten» Lesezeit: 5 Minuten Hygienemaske tragen oder nicht? Der Psychiater Thomas Ihde sagt, warum sich Deutschschweizer damit schwertun und was in Asien anders ist. Artikel teilen Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe Zuerich (VBZ), verteilen Hygienemasken an die Fahrgaeste der Tramhaltestelle Bellevue in Zuerich, aufgenommen am Dienstag, 19. Mai 2020. (KEYSTONE/Ennio Leanza) VBZ-Mitarbeiter verteilen Hygienemasken am Zürcher Bellevue. Bild: Keystone Von Matthias Pflume Veröffentlicht am 17.06.2020 Lesezeit: 5 Minuten Beobachter: Warum tragen in der Schweiz so wenige Leute eine Hygienemaske in der Öffentlichkeit? Thomas Ihde: Wenige in der Deutschschweiz. In Genf oder Lugano sieht es anders aus. Das hat zum Teil mit der Einschätzung der Sicherheit zu tun – bei uns ist Corona relativ abstrakt geblieben. Dazu sind wir herdenorientiert und verbringen sehr viel Zeit mit dem, was andere über uns denken. Das steuert das Ganze sehr. Wenn plötzlich die Hälfte der Leute im Zug Maske tragen würde, würde sich das umkehren. Also unabhängig davon, ob die Fallzahlen steigen. Ja. Mich erinnert das an ein anderes Thema hier im Berner Oberland: Skifahren mit Helm. Das hat es traditionell nicht gegeben. Der Wechsel begann sehr langsam, Leute mit Helm waren Exoten – plötzlich ist es innerhalb eines Winters gekippt. Und es wurde völlig normal, dass man einen Helm hat. Eigentlich hatte sich am Risiko Covid-19 Wie schütze ich mich vor dem Coronavirus? selbst gar nichts geändert, aber nun fiel man ohne Helm auf. Was sagt es über eine Person aus, wenn sie eine Maske trägt? Sagt es überhaupt etwas aus? Es sagt etwas aus. Wir in der Schweiz verbringen sehr viel Zeit in der freien Natur. Das ist in anderen Kulturen nicht so. Die Maske hat etwas Unnatürliches. Im Spital trägt man Maske, oder der Zahnarzt hat eine an. Aber eine Maske draussen oder im Zug hat etwas sehr Unnatürliches. Das heisst: Keine Maske zu tragen ist ein Zeichen von Normalität, von Natürlichkeit und es ist auch das Zeichen für «Ich habe keine Angst». Was aber bedeuten würde, dass sich das Virus davon beeinflussen lässt, ob man Angst hat oder nicht. Frauen und Ältere scheinen häufiger Masken zu tragen. Gehen sie das Thema rationaler an? Man sieht vor allem, wie unterschiedlich das Sicherheitsbedürfnis ist. Die Genfer haben im Moment noch ein höheres Sicherheitsbedürfnis und sind deshalb viel eher bereit, eine Maske zu tragen. Ältere merken natürlich, wie verletzlich sie sind und sind deshalb eher bereit, mehr zu machen, um sich zu schützen Schutz vor Coronavirus So verwenden Sie die Hygienemaske richtig . Ich möchte nicht zu biologisch argumentieren, weil sich das zum Glück ja auch langsam aufweicht, aber ich denke schon, dass sich Frauen mehr für Sicherheit zuständig fühlen. Wenn jemand als Teil einer kleinen Minderheit eine Maske trägt und sich dann etwas komisch fühlt – wie geht man mit diesem Gefühl um? Es ist eine natürliche Reaktion, dass man sich dann unwohl fühlt. Ich würde das Gefühl akzeptieren, aber mich nicht dadurch lenken lassen, sondern mir vergegenwärtigen, was der Grund für das Maskentragen ist. Ich würde den Gedanken in den Vordergrund stellen, dass ich die Gesellschaft schützen möchte, auch wenn andere keine Maske tragen. Leute ohne Maske sagen manchmal, dass es sich wie ein unausgesprochener Vorwurf anfühlt, wenn sie Maskenträger sehen. Ein Grossteil derjenigen, die keine Maske tragen, kennt dieses Gefühl nicht. Wenn ich es habe, ist meine Handlung in diesem Moment nicht authentisch in Bezug auf mein Wertesystem. Ich finde eigentlich etwas anderes richtig, als ich jetzt mache. Nun gilt es zu reflektieren: Ist es richtig, keine Maske zu tragen? Ist es eine Situation, in der ich wirklich gut darauf achten kann, dass ich die Sicherheitsdistanz einhalten kann? Wenn sich das schlechte Gewissen Schlechtes Gewissen 4 Tipps gegen ständige Schuldgefühle meldet, muss man sich immer wieder überlegen, wie verhalte ich mich gerade? Irgendetwas scheint da mit dem Wertesystem und der Handlung nicht aufzugehen. Und im Zweifel etwas Mut haben und die Herde verlassen? Ja, es ist wichtig, dass man nach seinem Wertesystem lebt und sich nicht von einem Herdenphänomen beeinflussen lässt. Ich glaube, jeder Raucher wäre froh, wenn er früher zu rauchen aufgehört hätte und nicht so lange mitgeraucht hätte, weil alle anderen geraucht haben. Wenn einzelne Leute ohne Maske anfangen, sich bei Maskenträgern zu rechtfertigen, geht es auch um das schlechte Gewissen? Ja, aber typischerweise gehen sich solche Leute gegenseitig aus dem Weg und treten nicht in Kontakt. Die Konfliktfreudigkeit von Schweizerinnen und Schweizern ist ja eher unterdurchschnittlich ausgeprägt. Wäre eine Maskenpflicht zum Beispiel im ÖV hilfreich, weil man dann nicht mehr selbst entscheiden muss? Damit könnte man die Gesellschaft recht entlasten, weil doch eine sehr grosse Verunsicherung da ist. Wenn ich im Zug die 2. Klasse betrachte, wahrt dort niemand die nötige Distanz, und es ist offensichtlich, dass eine Maskenpflicht herrschen müsste. Eine klarere Kommunikation wäre dort hilfreich. Stichwort Kommunikation: Bundesrat und Bundesamt für Gesundheit (BAG) haben lange gesagt, die Masken bringen zu wenig, wichtiger ist der Abstand. Hat unser jetziges Verhältnis zu Masken auch damit zu tun? Sonst lobe ich das BAG, aber dieser Punkt ist sehr schwer zu verstehen. Auch wenn die meisten Leute inzwischen gemerkt haben, dass so kommuniziert wurde, weil nicht genug Masken verfügbar waren, bleiben trotzdem Zweifel im Hinterkopf Schutz vor Coronavirus Der Masken-Mythos , dass die Masken anscheinend doch nicht ganz wirken. Wenn das BAG früher vertreten hätte, dass Skihelme nichts bringen, wäre ihre Einführung relativ schwierig gewesen. Auch das war eine Einengung, die das Ski-Erlebnis sehr verändert hat. Und Maskentragen ist etwas sehr Unangenehmes. Es ist sehr störend, die Luftfeuchtigkeit ist eine andere, Masken sind unbequem, sie haben einen Eigengeruch. Sie sind nichts, bei dem man schnell vergisst, dass man sie anhat. -------------------